Gesetzesvorschlag sieht Kondompflicht und härtere Strafen für Sexkäufer vor

Jährlich kaufen in der Schweiz rund 350'000 Männer sexuelle Dienstleistungen. Nun fordern Frauen der Mitte-Partei strengere Regeln: Eine Kondompflicht und härtere Strafen für Freier. Manche Politiker gehen noch weiter und bringen ein generelles Prostitutionsverbot ins Spiel – ein Vorstoss, der auch unter Feministinnen umstritten ist.

Lustmap Redaktion
26. 5. 2025
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Prostitution ist in der Schweiz ein milliardenschweres Gewerbe: Rund 350'000 Männer kaufen mindestens einmal pro Jahr sexuelle Dienstleistungen – das entspricht etwa jedem fünften erwachsenen Mann. Dem gegenüber stehen schätzungsweise bis zu 20'000 Personen, die sich im Sexgewerbe prostituieren, meist Frauen – in Bordellen oder auf der Strasse. Die Branche ist legal, aber weitgehend intransparent.

Trotz des Ausmasses bleibt das Thema politisch randständig. Doch das soll sich nun ändern: Die Mitte-Frauen haben ein Grundlagenpapier verabschiedet und fordern strengere Regeln, um Frauen besser zu schützen. Sie prüfen Vorstösse bis hin zu einer Volksinitiative für ein nationales Prostitutionsgesetz.

«Nur wenige Menschen prostituieren sich freiwillig», sagt Christina Bachmann-Roth, Präsidentin der Mitte-Frauen. Die meisten seien Opfer von Armut, Zwang oder Gewalt. Ziel sei es, den Sexmarkt besser zu kontrollieren und Freier wie Betreiber stärker in die Pflicht zu nehmen.

Aktuell regeln die Kantone das Prostitutionswesen unterschiedlich. Auf Bundesebene sind bislang nur Menschenhandel, Zuhälterei und Sex mit Minderjährigen strafbar. Neue Sanktionen gegen Freier müssten daher national verankert werden.

So wollen die Mitte-Frauen Prostitution in der Schweiz neu regeln
Nach dem Willen der Mitte-Frauen sollen Freier künftig stärker in die Verantwortung genommen werden. Wer sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nimmt, soll gesetzlich verpflichtet werden, das Alter sowie die Aufenthalts- und Arbeitspapiere der Frauen zu prüfen. Bei Verdacht auf Zwang oder Menschenhandel müssten Freier dies aktiv der Polizei melden. Wer Sex ausserhalb der offiziell zugelassenen Strichzonen kauft, soll ebenfalls bestraft werden. Auch für Bordelle sind strengere Kontrollen vorgesehen. Zudem fordern die Mitte-Frauen eine Kondompflicht und verpflichtende Schulungen für Freier, die gegen die neuen Regeln verstossen, wie Präsidentin Christina Bachmann-Roth erklärt.

Gleichzeitig sieht das Positionspapier bessere Unterstützung für die betroffenen Frauen vor: Der Zugang zu Gesundheitsversorgung und Altersvorsorge soll verbessert, Ausstiegsprogramme staatlich finanziert werden. Auch die Präventionsarbeit zu den Risiken der Prostitution soll ausgebaut werden.

Das Papier war intern umstritten und wurde erst Mitte Mai verabschiedet. Die Mutterpartei hat bislang keine einheitliche Position bezogen – die Diskussion steht noch am Anfang. Die Frauensektion habe jedoch das Recht, eigene Positionen zu entwickeln, betont Mitte-Präsident Gerhard Pfister.

Ein Schweizer Ansatz zur Neuregelung der Prostitution
Die vorgeschlagenen Massnahmen der Mitte-Frauen erinnern in weiten Teilen an das sogenannte nordische Modell, das Schweden bereits vor 26 Jahren eingeführt hat. Dieses kombiniert Ausstiegsprogramme für Prostituierte mit umfassender Präventionsarbeit – allerdings bei einem zentralen Unterschied: In Schweden ist der Sexkauf komplett verboten. Auch Länder wie Norwegen, Kanada und Frankreich sind diesem Ansatz später gefolgt.

Ein vollständiges Verbot lehnen die Mitte-Frauen jedoch ab. «Wir wollen einen Schweizer Weg gehen, der den Sexkauf deutlich stärker reguliert, aber nicht ganz verbietet», sagt Christina Bachmann-Roth. Ein entsprechender Vorschlag scheiterte 2022 im Nationalrat deutlich. Damals war die Mehrheit überzeugt, ein Verbot würde die Prostitution in die Illegalität drängen – zum Nachteil der betroffenen Frauen. Seither aber formieren sich neue Allianzen, die schärfere Regeln fordern – teilweise erneut mit einem Sexkaufverbot als Ziel.

So hat sich die parteiübergreifende Gruppe Pro Reform gebildet, in der sich Frauen aus verschiedenen Kantonen zusammengeschlossen haben, um den politischen Druck zu erhöhen. Allein aus der Mitte-Partei wurden kürzlich mehrere Vorstösse eingereicht, unterstützt von Politikerinnen aus GLP, EVP und SP.

«Wir sind in der Debatte heute weiter als je zuvor», sagt Olivia Frei, Geschäftsführerin der Frauenzentrale Zürich. Sie hat Pro Reform ins Leben gerufen und fordert selbst ein Verbot des Sexkaufs. Die Frauenzentrale koordiniert zudem ein wachsendes Netzwerk namens Porta Alliance, das sich parteiübergreifend gegen Ausbeutung im Sexgewerbe einsetzt.

Doch mit dem wachsenden Reformdruck wächst auch der Widerstand. «Wir spüren, dass die Gegnerinnen eines Verbots nervös werden. Die Debatte wird zunehmend hitzig», sagt Frei. So protestierten etwa die Gewerkschaftsgruppe Procore, das Sex Workers Collective sowie die Fachstelle FIZ gegen eine Veranstaltung, bei der ein schwedischer Polizist über das nordische Modell berichtete.

Lelia Hunziker, FIZ-Geschäftsführerin und Aargauer SP-Grossrätin, warnt davor, die Diskussion emotional aufzuladen. «Die mediale Darstellung ist oft einseitig und dramatisierend», sagt sie. Aus ihrer Sicht schützt nur der aktuelle, pragmatisch-liberale Weg die Rechte von Sexarbeitenden und schafft Raum für bessere Arbeitsbedingungen. Viele Betroffene hätten deshalb bei der Veranstaltung zur «Mahnwache» aufgerufen – mit der Forderung: «Redet mit uns, nicht über uns.»

Auch Rebecca Angelini, Geschäftsleiterin von Procore, warnt vor einem Verbot. «Keine uns bekannte Sexarbeiterin spricht sich für ein Sexkaufverbot aus – auch nicht unter schwierigen Bedingungen», sagt sie. Ein Verbot nehme den Betroffenen ihre legale Existenzgrundlage. Dort, wo es eingeführt wurde, sei die Arbeit lediglich ins Verborgene gedrängt worden – mit deutlich höherem Risiko für Gewalt und Ausbeutung.

Feministische Fronten: Prostitution als Zankapfel
In der aktuellen Debatte prallen zwei feministische Positionen aufeinander: Auf der einen Seite stehen Befürworterinnen eines Sexkaufverbots, die den Verkauf des weiblichen Körpers ablehnen und auf die oft damit verbundenen Zwänge und Missbräuche hinweisen. Auf der anderen Seite vertreten Gegnerinnen eines Verbots die Ansicht, dass Sexarbeit eine legitime Erwerbstätigkeit sei, die entstigmatisiert werden müsse.

Ein Beispiel für diese Haltung ist eine kürzlich verabschiedete Resolution der SP. Darin heisst es: «Sexarbeit ist eine von vielen Möglichkeiten, den eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren. Für manche ist sie sogar die einzige Option. Sie bietet Wahlfreiheit und Selbstbestimmung», so die SP-Vertreterin Lelia Hunziker. Ein Sexkaufverbot würde die Arbeitsbedingungen verschlechtern, deshalb brauche es keine neuen repressiven Gesetze, sondern eine bessere Umsetzung bestehender Regelungen – unterstützt durch ausreichende Ressourcen.

Die Resolution wurde am SP-Parteitag im Herbst deutlich angenommen. Dennoch gibt es auch in der Partei kritische Stimmen. Die Bündner Grossrätin Silvia Bisculm bemängelt, dass es vorab keine breite Diskussion in der Parteibasis gegeben habe. Sie sieht Prostitution nicht als Arbeit, sondern als Ausbeutung und Zwang – gerade in einer Partei, die Frauenrechte hochhält, sei dies problematisch.

Hunziker hingegen berichtet von einer differenzierten und sachlichen Debatte unter den Delegierten.

Liberal war gestern: FDP-Ständerat Damian Müller für Verschärfungen
Die politische Debatte über Prostitution wurde bisher vorwiegend von Frauen, Linken und Aktivistinnen geführt. Doch das ändert sich derzeit: Neue Allianzen zeigen, dass auch das bürgerliche Lager aktiv wird. Zudem engagieren sich vermehrt Männer im Bundeshaus und in den Kantonen, um das Thema in die Gesellschaft zu bringen.

So fordert etwa FDP-Ständerat Damian Müller in einer Interpellation dringenden Handlungsbedarf. Die Situation in der Prostitution sei «besorgniserregend», viele Frauen befänden sich in Notlagen, schreibt er. In Europa werde das nordische Modell bereits eingeführt oder diskutiert, auch die Schweiz müsse ihre Gesetzgebung überdenken.

Der zuständige Bundesrat Beat Jans (SP) zeigte sich hingegen skeptisch. Der Nutzen eines Sexkaufverbots für die Prostituierten sei umstritten. Er verwies auf alternative Schutzmassnahmen, etwa Präventionsprogramme des Bundesamts für Polizei, die jährlich mit 200’000 Franken unterstützt würden.

Jans’ Antwort habe ihn «schockiert», sagt Müller. «Ausgerechnet ein Sozialdemokrat verweigert sich bei diesem Thema der Arbeit. Dabei könnte Jans einen runden Tisch mit allen Kantonen einberufen, um über einen Schweizer Weg in der Prostitution zu diskutieren.» Persönlich favorisiere Müller ein Sexkaufverbot, ist aber offen für andere Lösungen.

Er betont, dass viele Prostituierte Migrantinnen seien, die aus finanzieller Not und mangels Alternativen verkauft würden. «Sie müssten Alkohol und Drogen konsumieren, um die Arbeit zu ertragen», sagt Müller. Das sei keine selbstbestimmte Tätigkeit. Wichtig sei, dass die Gesellschaft endlich offen über Missbrauch und Leid in der Prostitution spreche. Müller plant, das Thema im Bundeshaus verstärkt zu diskutieren, unter anderem bei einem parteiübergreifenden Anlass in der Herbstsession.

Was auf nationaler Ebene passiert, soll auch kantonal umgesetzt werden: Der St. Galler EVP-Kantonsrat Jascha Müller gründete 2024 zusammen mit der Polizistin Magdalena Fässler (GLP) den Verein Norm182. Fachleute aus Polizei und Justiz setzen sich dort für die Einführung des nordischen Modells in der Schweiz ein. «Die Prostitution ist ein blinder Fleck in unserer Gesellschaft. Missstände werden einfach hingenommen», sagt Müller. Mit Fachreferaten wolle der Verein die Bevölkerung sensibilisieren und ist bereits von der Ostschweiz bis Zürich gewachsen.

Für Olivia Frei von der Frauenzentrale zeigt dieser Wandel, dass sich in der Mitte der Gesellschaft viel bewegt. Auch wenn die Debatte teils hitzig geführt wird, sei es ein gutes Zeichen, dass nun breitere Kreise mitreden.